Elisa Langers Ehrenamt bei dem Kleinstadtfestival in Meppen
(eb) Mit 18 Jahren machte Elisa Langer ihren Schulabschluss, mit 20 zog sie von zuhause aus. Jetzt engagiert sie sich beim Kleinstadtfestival in Meppen. Dieser Artikel beschreibt, wie ihr das Ehrenamt ein Gefühl von Selbstbestimmung gibt.
Elisa Langer muss sich strecken. Mit einer Hand stützt sie sich an einer farbverschmierten Leiter ab, mit der anderen greift sie nach einer schwarzen Plane. Ihre schulterlangen braunen Haare wippen dabei auf und ab. Darin steckt eine grellblaue Sonnenbrille. Aus ihrer Handwerkerhose gucken Arbeitshandschuhe, Cuttermesser und Werkzeug heraus. Die etwa 1,80 Meter große Ehrenamtliche steht in einem grau-grünen Container direkt neben der Hauptbühne des Meppener Kleinstadtfestivals. Noch befindet sich alles im Aufbau. Das Grundgerüst der Hauptbühne am Nagelshof steht. Der Wind trägt die Geräusche des Aufbaus herüber: Schritte auf Metallstangen, Hammerschläge, Stimmengewusel.
Vorreiter für Selbstwirksamkeit im Ehrenamt
Elisa ist eine von 110 Kleinstadtkindern in Meppen. Die Gruppe von jungen Erwachsenen und Jugendlichen organisiert Kulturveranstaltungen, begleitet durch das Jugend- und Kulturzentrum JAM. Entstanden ist die Jugendgruppe aus dem Förderprogramm „Think Big“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Seit 2011 setzt die Arbeit des JAM auf die aktive Mitgestaltung. „Die offene Jugendarbeit war fast tot“, berichtet der Leiter Karsten Streeck. „Wir haben neue Strategien probiert, um eine ganze Breite an Jugendlichen ins JAM zu holen.“ Die pädagogische Praxis zeige, dass es die Selbstwirksamkeit von Jugendlichen fördere, selbst Projekte umzusetzen, so wie bei Elisa.
Als nächstes ist die Technik der kleinen Bühne dran. Im Schneidersitz hämmert Elisa Bolzen in die Metallstange des rechteckigen Gerüsts auf dem Boden. „Jetzt machen wir die Traverse“, sagt die Hobby-Technikerin. Das Metallgerüst vom Boden muss auf die zwei Meter hohen Träger gelegt werden. Jugendzentrumsleiter Karsten Streeck hält das linke Ende, Elisa das rechte. Vorsichtig heben sie das Metallgerüst hoch und legen die Stangenkonstruktion in die Halterung. Das Gerüst steht.
Das JAM gibt Elisa Selbstbewusstsein
Normalerweise arbeitet Elisa im Einzelhandel, kümmert sich um ihre Zwei-Zimmer-Wohnung und spielt bei der inklusiven Fußballmannschaft der InduS-Liga in Schwefingen. Sie liest gerne Bilderbücher und hört Musik. Erst im JAM entwickelte sie ihre Leidenschaft zur Technik.
Mit 14 Jahren besuchte sie den Jugendtreff in Meppen zum ersten Mal. In den vergangenen sieben Jahren lernte sie immer mehr, traute sich mehr zu. Ihr Selbstbewusstsein, sagt sie, habe sie dem JAM zu verdanken. Damit ist sie nicht allein. „Viele junge Leute können sich bei uns öffnen. Wir geben Ratschläge und vermitteln Ausbildungs- und Praktikumsplätze“, so Streeck. Seit 2003 leitet er das Jugendzentrum. Mittlerweile haben 400 Jugendliche aus Meppen die JAM-Mitgliedskarte und nutzen die Angebote der Begegnungsstätte. 110 von ihnen organisieren nun das Kleinstadtfestival. Dieses wurde im Laufe der Jahre immer größer. „Alle, die hier mitmachen, brennen dafür. Man arbeitet an sich selber und wächst. Der Rücken wird breiter“, sagt Laura Kaschubowski, ein anderes Kleinstadtkind.
Im Cocktailcontainer muss noch die Bodenfolie verlegt werden. Zu viert breiten Elisa und ihre Kollegen die Folie mit hellbraunen Balken aus. Jedes der vier Kleinstadtkinder hält eine Ecke fest. Einen Zentimeter nach hinten, ein Stück nach links. Der Boden sitzt. Ein Stück der Folie ragt noch über den Containerrand hinaus. „Klar habe ich einen Cutter dabei. Ich arbeite doch bei Marktkauf“, sagt Elisa und zieht aus ihrer dunkelgrünen Handwerkerhose das Messer. „Los geht’s.“ Der weiße Schriftzug ,,Crew“ wird auf der Rückseite ihres T-Shirts von der Sonne angestrahlt. Stück für Stück schneidet sie den Rest des Plastikbodens weg. Sie steht auf und blickt in den Container. „Wow, sieht toll aus“, sagt sie und klatscht in die Hände.
Elisas Motivation: Vorbild für andere sein
Im JAM fühle sie sich frei, sagt Elisa, nicht eingeengt. Nach ihrem Schulabschluss an der Förderschule absolvierte sie eine zweijährige Ausbildung zur Gartengehilfin. Doch es sei schwer gewesen, einen Arbeitsplatz zu finden, erzählt sie. Nach einem viermonatigen Praktikum begann sie im September 2023 einen Job im Einzelhandel. „Mein Traum war es, an der Kasse zu arbeiten. Aber ich bin schlecht in Mathe“, ergänzt sie. Vor neun Monaten zog sie aus ihrem Elternhaus aus und lebt seitdem in ihrer eigenen Wohnung. Nach der Arbeit geht sie oft ins Jugendzentrum. „Sie hat hier ein Standing“, sagt Karsten Streeck. Sie kümmere sich um den Ort und habe sich ihren Respekt hart erarbeitet. Im September beendet sie ihre Jugendleiterausbildung. Sie will ein Vorbild für Menschen mit Beeinträchtigung im Ehrenamt sein.
Bald gibt es Mittagessen. „Ich habe einen Mordshunger“, sagt Elisa. Sie geht an der Hauptbühne vorbei Richtung JAM. Am Rande des Parkplatzes hinter den Absperrzäunen stehen drei Passanten. „Hallo. Kann man Ihnen helfen?“, fragt Elisa und lächelt. „Ja. Wo ist der Campingplatz?“ Elisa dreht sich um, orientiert sich kurz, ihr Blickt wandert über das Gelände. „Da lang“, sagt sie und nickt in Richtung Campingplatz.
Endlich Mittag. Im kreisförmigen Innenhof des JAM liegen schwarze Holzbrettbalken auf den Rasen. Farbeimer stehen in der Ecke, vollgepackte Kisten säumen den Weg zum Jugendtreff. In einem Nebenraum lagern Metallzäune. Auf einem Tisch im JAM steht ein 50-Liter-Kochtopf. Es gibt Nudeln mit Gemüsepesto. Elisa füllt ihren Teller. Auf einer Bierbank sitzt schon ein Teil der Crew und wartet auf sie. Nach dem Mittagessen geht es weiter. Elisa hat noch viel zu tun.