Adolf Benders Ölgemälde und die Geschichte dahinter
(mb) Acht Zwangsarbeiter und eine Schöpfkelle – mehr bedurfte es nicht, um in einem „Emslandlager“ ein Strafkommando aufzustellen. Die Aufgabe der Männer bestand darin, abwechselnd die Kelle in die Lagerlatrine zu tauchen und damit Fäkalien in einen Jauchewagen zu schöpfen. Ein Wachposten ließ die übrigen sieben, die auf ihren Einsatz warteten, ein Lied singen oder Sportübungen machen. War der Wagen voll, rollten die Männer den Jauchewagen zum Lagertor. Dort hielten sie an, nahmen die Mützen ab, standen stramm und riefen im Chor: „Hurra, hurra, hurra, die Jauchefahrer sind da!“ Dann zogen sie den Wagen ins Moor, wo sie die Jauche abließen. Auf ihrem Rückweg mussten sie wieder Halt am Tor machen und, bevor sie es passieren durften, rufen: „Hurra, hurra, hurra, die Jauchefahrer sind wieder da!“.
Auch Hermann Göck, von dem die Schilderung stammt, musste Jauche schöpfen. Als Widerstandskämpfer war er in den 1930er Jahren in den Lagern Esterwegen und Aschendorfermoor inhaftiert. Fietje Ausländer, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter und Archivar des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Emslandlager, fand bei Recherchen Göcks Bericht über die Zwangsarbeit der „Jauchefahrkommandos“.
Der Maler Adolf Bender war politischer Häftling im Lager Börgermoor. Auch dort gab es Jauchefahrkommandos. Bender veranschaulicht sie in seinem Ölbild „Die Jauche-Kolonne im K.Z. Börgermoor 1933–35“. In der Sonderausstellung „Kunst im Emsland“ im Stadtmuseum Meppen ist es als Leihgabe des DIZ derzeit zu sehen. Es zeigt sechs Männer, die, nach vorn gebeugt, einen Jauchewagen ziehen. Alle tragen dieselbe Mütze und dieselbe Kleidung, alle haben kein Gesicht. Schatten ihrer selbst sind sie, gefangen in einer trostlosen Welt, in der ihnen das nationalsozialistische Regime zynisch zu verstehen gibt, was ihr Leben in seinen Augen wert ist: einen „Dreck“.
„Erhalten haben wir das Werk 2001 als persönliche Schenkung von Fritz Strothmann, dem langjährigen Freund und ehemaligen Mithäftling Adolf Benders“, sagt Joscha Hollmann, Leiter und Kustos der Sammlung des DIZ. Bender widmete sein 1966 entstandenes Werk seinem Freund Strothmann, was auf der Rückseite des Gemäldes auch vermerkt ist.
Adolf Bender, 1903 in Mainz geboren, erlebte den Aufstieg des Nationalsozialismus in Frankfurt am Main. Als bekennender Sozialdemokrat nahm er Partei gegen die NSDAP. Er ging nach deren Machtübernahme nach Frankreich, weil er mit seiner Verhaftung rechnete. „Dort hatte ich nichts zu befürchten“, sagte Bender rückblickend, „ich konnte ungestört malen – mich frei entfalten.“ Seine meist sehr farbigen und sehr lebenslustigen Werke aus dieser Zeit sind zwischen deutschem Impressionismus und Expressionismus einzuordnen. Im Oktober 1933 kehrte Bender in seine Heimatstadt Mainz zurück. Er glaubte sich in Sicherheit. Doch in der ersten Nacht nach seiner Ankunft nahm ihn die Gestapo fest. Man inhaftierte ihn im November 1933 in Börgermoor und von April 1934 bis September 1936 in Esterwegen – ohne Gerichtsverhandlung. Später sagte er: „Diese Jahre werde ich nie vergessen können.“
Die „Emslandlager“ waren ein System von Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlagern im Emsland und in der Grafschaft Bentheim. Von 1933 bis 1945 internierte der NS-Staat in 15 Lagern etwa 80.000 Häftlinge und mehr als 100.000 Kriegsgefangene. Ihr Alltag bestand aus kräftezehrenden Arbeitseinsätzen im Moor und weiteren Arbeitskommandos, aus ständigem Hunger, krankmachenden Hygienebedingungen und brutalen Übergriffen des Wachpersonals. Mehr als 20.000 Menschen, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, starben an Erschöpfung, Krankheit, Misshandlung oder wurden „auf der Flucht erschossen“.
Schon als politischer Gefangener begann Adolf Bender, das Lagerleben zu skizzieren, auf Papierfetzen und anderen Materialien, die er in die Finger bekam. Es gelang ihm, sowohl beim Zeichnen unentdeckt zu bleiben als auch die Skizzen rauszuschmuggeln. Später bildeten sie die Grundlage für seinen Zyklus „Die Moorsoldaten“, der aus mehr als 30 Ölbildern besteht.
Das in der Lagerhaft Erlittene ließ Adolf Bender nicht mehr los. Zeit seines Lebens versuchte er, mit Ausstellungen und anderen Veranstaltungen über das NS-Regime aufzuklären, insbesondere junge Menschen. Bender starb 1997 im Alter von 94 Jahren. Seine antifaschistische Bildungsarbeit setzt das Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel (Saarland) fort.