Bronzeplastik von Otto Pankok aus dem Jahr 1950

Als Bauer Becker in die Kunstgeschichte einging

Museen sind Schatzkammern: sie sammeln und bewahren Gegenstände aus vergangenen Zeiten, erforschen deren Geschichte(n) und bringen sie zum Sprechen. Dabei sind es nicht selten die auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge, die Spannendes zur lokalen Historie zu berichten haben. In der Reihe „Objekt des Monats“ werden im Stadtmagazin DER MEPPENER regelmäßig herausragende Exponate und Sammlungsstücke aus dem Bestand des Stadtmuseums vorgestellt.

(mb) Argwohn ruft der Mann hervor, der an einem Frühjahrstag 1938 in Bokeloh das Kolonialwarengeschäft betritt, das Josef Meyer mit Gertrud Becker betreibt. „Er sah für die damalige Zeit außergewöhnlich aus“, wird sich Meyers spätere Ehefrau Maria, Gertruds Schwester, erinnern: Mantel und Hut schwarz, Haare lang und der Bart wild. Doch schnell sei klar geworden, „daß es sich um einen angenehmen, liebevollen Menschen handelte“.

Der Mann nennt sich Otto Pankok, er sucht eine Bleibe. Dass er Künstler ist, sagt er nicht. Meyer und Becker halten ihn für einen Pater. Dass er versucht, sich dem NS-Regime zu entziehen, um sich trotz Berufsverbots seiner Arbeit zu widmen, verschweigt er vorerst auch. Pankok mietet zwei Zimmer; für seine Frau Hulda und seine Tochter Eva kommen später zwei dazu. Eine enge Freundschaft entsteht zwischen den Familien Pankok, Meyer und Becker.

In den kommenden zweieinhalb Jahren erschafft der Maler, Graphiker und Bildhauer Otto Pankok in Bokeloh mehr als 400 Kohlezeichnungen und Kohlegemälde. Auch der Bauer Stephan Becker steht ihm Modell - besser: sitzt. Im Jahr 1940 bringt Pankok den Vater von Gertrud und Maria zu Papier. Die Zeichnung bildet die Vorlage für eine Bronzeplastik, die der Künstler 1950 anfertigt, und einen Holzschnitt zwei Jahre darauf.

In der derzeit laufenden Sonderausstellung „Kunst im Emsland. Eine Zeitreise von 1866 bis 1973“ im Stadtmuseum Meppen ist die Plastik zu sehen. Wie ein Buddha hockt Bauer Becker da. Der mächtige Bauch wölbt sich über die Hose, die groben Hände der kräftigen Arme ruhen auf den stämmigen Oberschenkeln der ausgestellten Beine, der unbehaarte Kopf ist nach oben gerichtet. Selbstbewusst wirkt der Bauer, stolz.

Mensch, Tier und Landschaft ursprünglich und unverfälscht darzustellen – das sind die Motive in Otto Pankoks Werk. Viele findet er im Emsland, wo er vom Frühjahr 1938 bis zum Sommer 1941 hauptsächlich lebt und in das er später zeitweise zurückkehrt.

„Was ihr durchblättert in meinem Werk, ist viel Armut, viele Bilder von erniedrigten Menschen, verstoßenen Kindern, verachteten Tieren, viele einsame Dinge und verschollenes Land“, schreibt Pankok in „Aufzeichnung aus der letzten Zeit“. Und: „Die Welt ist eine einsame Welt, aber sie ist reich, ja von unausschöpfbarer Fülle, sie ist voll brausenden Glanzes und kühner Flächen und voll von wilder und berauschender Schönheit.“

Als jüngster von zwei Söhnen eines Sanitätsrats wird Otto Pankok am 6. Juni 1893 in Saarn bei Mülheim geboren. Die Eltern erkennen früh, dass ihr Sohn künstlerisch begabt ist. Als er zwölf Jahre alt ist, richten sie ihm ein Atelier ein. Er zeichnet vorzugsweise mit Kohle: Familienmitglieder, Patienten seines Vaters, Bewohner von Saarn, Landschaften. Ein Kunststudium in Düsseldorf und Weimar bricht Pankok im Frühjahr 1914 ab. Er zieht in die Künstlerkolonie Dötlingen im Oldenburgischen, wo er sich dem Alltag von Tagelöhnern widmet. Monate später muss er in den Krieg ziehen. Was er erlebt, macht ihn zum Pazifisten.

Nach Kriegsende lässt sich Pankok in Düsseldorf nieder. Er tritt der Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ bei, zu der auch Otto Dix gehört. In diesem Kreis veröffentlicht er kleinformatige Grafiken. Eine Reise nach Südfrankreich führt ihn 1931 zu einem „Zigeuner“-Fest, das ihn nachhaltig beeindruckt. Zurück in Düsseldorf erfährt er von einer am Stadtrand liegenden Siedlung, in der auch Sinti und Roma leben. Die Kunsthalle stellt im Januar 1932 seine dort entstandenen Zeichnungen aus.

Von 1933 bis 1934 arbeitet Pankok an dem Zyklus „Die Passion“: 60 Kohlezeichnungen, die Jesus‘ Leben und Sterben darstellen. Für die Ausstellung „Westfront 1933“ in Essen stellt er fünf Bilder aus dem noch unfertigen Zyklus zur Verfügung. Er wird im Herbst 1933 behördlich angewiesen, die Bilder persönlich zu entfernen. Vier Jahre später werden im Zuge der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ 56 seiner Werke in deutschen Museen beschlagnahmt.

Vergebens versucht Pankok 1940, mit Ehefrau und Tochter in die Schweiz auszuwandern. Die Familie kehrt nach Bokeloh zurück. Dort porträtiert er Freunde wie den Bauern Stephan Becker. Ein Jahr nach Kriegsende kehrt Otto Pankok mit seiner Familie nach Düsseldorf zurück. Er wird Professor an der Staatlichen Kunstakademie. Nach seiner Emeritierung erwirbt er das Haus Esselt, ein ehemaliges Rittergut, in Hünxe bei Wesel – heute befindet sich dort das Otto-Pankok-Museum.

„Otto Pankok hatte immer nur Modelle, die er liebte und die ihm von ganzen Herzen zugetan waren“, schreibt Hulda Pankok ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes. Das gilt auch für den Bauern Stephan Becker.

2501-pankok-bauer.jpg