Fotoalben aus dem späten 19. Jahrhundert

(fb) Ab Ende der 1850er Jahre erfuhr die Fotografie einen großen Popularitätsschub. War ein gemaltes oder fotografisches Porträt für viele Menschen bis dahin praktisch unerreichbar teuer, führte die Entwicklung zu einer Verringerung des technischen Aufwands und der Kosten, wodurch sich mehr Menschen eigene Porträtfotos leisten konnten. Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte das Medium der Fotografie dann endgültig flächendeckend Einzug in die Bürgerhäuser gehalten. Das Verfahren war technisch gereift und erschwinglich, die Ergebnisse, meist Abzüge auf Albuminpapier, qualitätvoll und ansprechend.

Damals wurde es in den Familien üblich, von allen Angehörigen Fotos machen zu lassen oder eben selber zu „schießen“, um sie zu verschenken oder zu sammeln. Die Fotografien benötigten ein angemessenes Sammel- und Aufbewahrungssystem: das Fotoalbum. Die Alben waren oft aufwändig gestaltet, mit Einbänden aus Leder oder Samt und mit verzierten Metallbeschlägen. Auch die Seiten waren zum Einschieben der Bilder mit Golddruck dekoriert. Mehr und mehr verlagerte sich die Präsentation von Fotografien im Rahmen von der Wand in das Album. Bald besaß jede Bürgerfamilie einen oder mehrere solcher Bände. Sie vereinten die zerstreuten Familienmitglieder und dokumentierten ihren Werdegang von Geburt, Kindheit, Jugend über das Erwachsenendasein bis zum Alter und in den Tod in einem tragbaren Familienmuseum, das meist auch einen zentralen, fast altarähnlichen Platz im Wohnzimmer erhielt.

Die Fotografie ist seit jeher ein Medium der Erinnerung. Das Familienalbum war fast ein Jahrhundert lang das bildliche Gedächtnis einer Familie. Es verband über die Zeit und über den Tod hinweg die Betrachtenden des Albums mit den abgebildeten Vorfahren. Für die Literaturwissenschaftlerin Marianne Hirsch ist das Familienalbum daher kein biederes, konservatives Buch, sondern ein mächtiges Werkzeug zur Erinnerung. Sie sagt: „Das Familienalbum befriedigt einen Grundinstinkt des Menschen. Es erlaubte erstmals, eine generationen- und raumübergreifende Erzählung von der eigenen Familie zu kreieren.“ Dieses Bedürfnis ist über alle kulturellen Grenzen und die Zeit hinweg immer geblieben und änderte sich auch nicht als die Fotografie zum alltäglichen Massenphänomen wurde.

Heute trifft man prachtvoll gebundene Fotoalben weniger als Tradition im Besitz von Familien, sondern vor allem in Museen an. In fast jeder musealen Sammlung befindet sich mindestens ein Fotoalbum – auch im Schaumagazin des Stadtmuseums sind Fotoalben aus der Zeit um 1900. Erkennbar verlor das Album im ausgehenden 20. Jahrhundert seine ideelle Bedeutung, aber auch seine Funktion. Die zunehmende private Fotoproduktion erzeugte schließlich eine derartige Menge an Fotografien, die sich schlicht nicht mehr in Alben einordnen und verwahren ließ. In vielen Haushalten wurden diese Alben daher von Schuhkartons oder leeren Keksdosen abgelöst, in denen die Erinnerungen nun aufgehoben wurden. Mit der Digital- und Handyfotografie verlagerte sich die fotografische Erinnerungskultur dann komplett in den virtuellen Raum.

Museen sind Schatzkammern: sie sammeln und bewahren Gegenstände aus vergangenen Zeiten, erforschen deren Geschichte(n) und bringen sie zum Sprechen. Dabei sind es nicht selten die auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge, die Spannendes zur lokalen Historie zu berichten haben. In der Reihe „Objekt des Monats“ werden im Stadtmagazin DER MEPPENER regelmäßig herausragende Exponate und Sammlungsstücke aus dem Bestand des Stadtmuseums vorgestellt.