Schnabelschlittschuhe aus dem 19. Jahrhundert

(kt) Museen sind Schatzkammern: sie sammeln und bewahren Gegenstände aus vergangenen Zeiten, erforschen deren Geschichte(n) und bringen sie zum Sprechen. Dabei sind es nicht selten die auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge, die Spannendes zur lokalen Historie zu berichten haben. In der Reihe „Objekt des Monats“ werden im MEPPENER regelmäßig herausragende Exponate und Sammlungsstücke aus dem Bestand des Stadtmuseums vorgestellt.

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Die Technik des Eislaufens mit speziellen Schlittschuhen war wohl schon in der Jungsteinzeit im europäischen Raum bekannt. In der steinzeitlichen Pfahlbausiedlung Moosseedorf bei Bern in der Schweiz haben Archäologen Schlittschuhe geborgen, die aus den Knochen eines Pferdes hergestellt worden waren.

Überall dort, wo sich der Mensch oft mit der Überwindung von Schnee- oder Eisflächen z. B. im Zuge jagdlicher Betätigung zu befassen hatte, scheint der Gebrauch entsprechender Hilfsmittel üblich gewesen zu sein. Bildquellen belegen, dass man auch im Mittelalter Knochen zur Herstellung von Schlitten oder Schlittschuhen nutzte. Im Spätmittelalter kamen neben den beinernen auch hölzerne Schlittschuhe in Form von Holzpantinen mit Kufen aus Hartholz in Gebrauch. Aus den Niederlanden scheint die Innovation zu stammen, in die hölzernen Schuhe eiserne Kufen einzulassen. Diese Schuhe hatten bereits einen nach oben gekrümmten Schnabel, woher sich auch der mittelhochdeutsche Begriff „slite“ (= Schleife) ableitet.

Mittelalterliche Chronisten berichten, dass z. B. in England bereits im späten 12. Jahrhundert das Eislaufen als Freizeitbeschäftigung und Sport betrieben wurde. In der Frühen Neuzeit breitete sich die Mode des Eislaufens dann in vielen europäischen Ländern aus. Die nun auch als „Holländer“ bezeichneten Schuhe tauchen oft in den stimmungsvollen Winterbildern niederländischer Künstler auf und zeigen, dass sich das Eislaufen in dieser Zeit bereits zu einem in allen Volksschichten verbreiteten Freizeitvergnügen entwickelt hatte.

Parallel dazu entstand eine entsprechende Infrastruktur: Eisbahnen und Eisflächen, die zu errichten und zu pflegen waren, Handwerksbetriebe und Manufakturen, die sich auf die Herstellung der Schlittschuhe spezialisierten. In Ostfriesland entstand die Tradition des „Schöfelns“, die bis heute gepflegt wird. „Männer und Frauen, Knaben und Mädchen, Reiche und Arme, alle geben sich dem schönen Vergnügen des Schlittschuhlaufens hin; selbst alte Leute in weißen Haaren sieht man noch fröhlich auf dem scharfen Stahle über die spiegelglatte Fläche dahingleiten“ berichtete ein ostfriesischer Chronist im Jahre 1905.

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Neben dem Eislaufen zum Vergnügen oder als sportliche Betätigung galt die Technik im Nordwesten Deutschlands aber auch als bevorzugte, effektive, manchmal auch gebotene Art der Fortbewegung. Insbesondere im Bereich der kleineren Flüsse, Wasserläufe und der Kanäle entstanden im Winter oft zusammenhängende Eisflächen, ein System von Eisstrecken, die den meist in der nasskalten Jahreszeit unpassierbar gewordenen Landwegen vorzuziehen waren. In dieser Jahreszeit wurde das Wasserstraßennetz nicht mehr mit Schiffen befahren, sondern mit Kufen. Der Schlitten war das Gefährt der Wahl, wenn es um den Transport von Waren und Handelsgütern ging, ansonsten fuhr man mit Schlittschuhen und konnte als geübter Läufer über das Eis rasch und bequem von Ortschaft zu Ortschaft gelangen. So verwundert es nicht, dass sich auch im Emsland eine recht üppige Überlieferung zur regionalen Eislauf-Kultur und -Geschichte erhalten hat.

Die hier dargestellten Schlittschuhe sind ca. 32 Zentimeter lang und verfügen über nach oben gebogene schmale Kufen aus Stahl. Auf diesen sind mit Schrauben aus Holz gefertigte Auflageflächen für das Schuhwerk befestigt. An den Außenseiten der hölzernen Flächen sind Schlitze angebracht, durch die Riemenpaare führen, die zur Befestigung des Knöchels und der Fußspitzen dienten. Die Schlittschuhe stammen aus dem Besitz des 1906 in Bokeloh geborenen Heinrich Dyker, der am 4. Juni 1942 als Soldat im Zweiten Weltkrieg in Litauen fiel. Dyker hatte 1929 sein Prüfungsdiplom als Werkzeugmeister und Techniker im Möbel- und Bautischlerfach an der Tischlerfachschule Detmold abgelegt und Ende der 1930er Jahre mit dem Aufbau einer eigenen Tischlerei auf dem Dachboden seines Elternhauses in Bokeloh begonnen. Die Schlittschuhe wurden vermutlich von Dyker bzw. in dessen Werkstatt gefertigt und wahrscheinlich von dessen Nachfahren benutzt.