(fb) Schöne Erlebnisse und Erfahrungen rufen wir uns gerne mit Hilfe von Bildern und Fotografien zurück ins Gedächtnis. Eine andere Möglichkeit ist das Führen eines Tagebuchs, in dem neben Alltäglichem in der Regel Schönes und Erinnerungswürdiges festgehalten wird, damit es mit der Zeit nicht verblasst. Eine spezielle Form des Erinnerungsbuchs stellt das sogenannte „Scrapbook“ dar, welches über die textliche Ebene eines Tagebuches kreativ hinausgeht. Der Begriff kommt vom englischen Wort „Scrap“, was „Schnipsel“, „Stückchen“ oder „Fragment“ bedeutet. In einem Scrapbook können z. B. Fotos mit Aufklebern, Eintrittskarten von Veranstaltungen, Zeitungsausschnitte von prägenden Ereignissen oder Objekte aus der Natur wie z. B. selbst getrocknete Pflanzen zusammengestellt werden. So entstehen bunte Collagen mit persönlichem und ästhetischem Wert. Die so gesammelten vielen kleinen Erinnerungsobjekte sind persönliche Fragmente der eigenen Lebensgeschichte. Schon vor über 150 Jahren gab es diese Form der kreativen Erinnerungsbücher. Prominente Beispiele wurden z. B. von Königin Victoria von Großbritannien oder Mark Twain angefertigt. Im 19. Jahrhundert wurden diese Bücher zuweilen auch mit Holzstichen bebildert, im 20. Jahrhundert gern mit Bild- und Textausschnitten aus Illustrierten und Zeitungen gestaltet.
Auch in der Sammlung des Stadtmuseums befindet sich dank einer privaten Schenkung ein historisches Scrapbook, welches in den 1880er Jahren begonnen und bis in die 1940er Jahre geführt wurde. Es stammt aus dem Besitz der Familie Warren, die einst ein bekanntes Hotel in Meppen betrieb. Das Hotel Warren wurde bereits im Jahr 1787 gegründet. Anfang des 20. Jahrhunderts entstand ein repräsentativer Hotelbau in der Hasestraße. Hier betrieb die Familie Warren das Hotel bis es Gebäude 1970 verkauft und etwas später abgerissen wurde. An dieser Stelle wurde das Kaufhaus Ceka errichtet. Das Buch zeigt auf der Vorderseite in goldenen geprägten Lettern den Namen „Gretchen Warren“. Margarete („Gretchen“) Warren (1871–1938) hat wohl in den 1880er Jahren mit dem Sammeln von Erinnerungsstücken begonnen; ihre Schwester Antonie („Toni“) Warren (1874–1944) führte die Gestaltung des Buchs dann weiter. Der Hotelier Wilhelm Warren (1866–1937) war ihr Bruder. Die verschiedenen im Erinnerungsbuch angewendeten Techniken und Materialien sind in ihrer Vielzahl und in ihren kreativen Kombinationen beeindruckend. Zu finden sind: Hochzeitsbekanntmachungen und Todesanzeigen von Familienangehörigen (neben einer Todesanzeige ist sogar eine Haarsträhne eingeklebt) sowie Zeitungsausschnitte von historischen Ereignissen. Weiter finden sich Eintrittskarten für Ausstellungen, Theaterveranstaltungen und Hafenrundfahrten, Zug- und Bustickets zu u. a. verschiedenen Wallfahrtsorten, Heiligenbilder und Gebetszettel, Geburtstags- und Speisekarten von Familienfeiern, Briefmarken, Briefe und Postkarten, getrocknete Pflanzenteile, Landkarten, eigene Zeichnungen, Karikaturen und Notizen, bunte Aufkleber und Motivkärtchen, Reproduktionen von Gemälden und Gedichte. Kurverordnungen kleben neben Cartoons, Bilderbögen zu Dackeln und Mäusen, die Episode eines Zeitungskriminalromans neben Illustrationen zu „berühmten Frauen des Altertums“ und zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71.
Museumsobjekte sprechen zu uns und erzählen Geschichten aus der Vergangenheit. Das Warren’sche Erinnerungsbuch berichtet über knapp 40 Jahre Lebensgeschichte, die einzelnen biografischen Fragmente geben einen Einblick in den Alltag der Geschwister Warren. Die eingeklebten Objekte zeigen, wofür die Schwestern sich in den jeweiligen Lebensabschnitten interessiert haben, was sie geprägt hat und was sie für erinnerungswürdig gehalten haben. Die Zeitungsausschnitte bilden den übergeordneten historischen Kontext ab. Antonie Warren war kirchlich engagiert und hat im Maristenkloster Meppen für die Priester Paramente gestickt. Die im Buch eingeklebten Reiseunterlagen und Programmhefte von verschiedenen Wallfahrten, Heiligenbilder und Zeitungsartikel zur Papstwahl spiegeln diese religiöse Seite wider. Die Form des Scrapbooks und vor allem das kreative Geschick der Schwestern bei der Auswahl und Anordnung der Erinnerungsstücke verleihen dem „beseelten Album“ im Vergleich zu einem Tagebuch einen hohen ästhetischen Wert, der das Buch über den Status eines reinen Zeitdokuments hinaushebt und dadurch vielschichtiger erfahrbar macht.