Ein Relikt aus dem „Kalten Krieg“

„LS-Geigerzähler Gamma 50“ der Firma Graetz

Museen sind Schatzkammern: sie sammeln und bewahren Gegenstände aus vergangenen Zeiten, erforschen deren Geschichte(n) und bringen sie zum Sprechen. Dabei sind es nicht selten die auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge, die Spannendes zur lokalen Historie zu berichten haben. In der Reihe „Objekt des Monats“ werden im Stadtmagazin DER MEPPENER regelmäßig herausragende Exponate und Sammlungsstücke aus dem Bestand des Stadtmuseums vorgestellt.

(mb/cr) Der Ton schwillt an und ab, an und ab. Dramatisch beginnt der Fernsehbeitrag, den der Südwestfunk am 22. November 1965 ausstrahlt. „Die Sirenen heulen wieder, alle Jahre ein paarmal, zur Probe“, beschwichtigt der Sprecher seine Zuhörer. Und dann macht er ihnen doch Angst und Bange: „Was könnte der Bürger tun, wenn dieser Alarm Ernst wäre?“

Zweieinhalb Monate zuvor, am 9. September, hatte der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats das „Gesetz über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Selbstschutzgesetz)“ beschlossen. Mit dem „Selbstschutzgesetz“, das am 1. Januar 1966 in Kraft trat, wollte die Regierung die Bevölkerung auf einen Atomkrieg vorbereiten. Alle Bürger waren demnach „zum Selbstschutz gegen die Wirkung von Angriffswaffen verpflichtet“. Dazu zählten radioaktive Niederschläge, chemische Kampfstoffe und biologische Kampfmittel. Noch immer waren die Auswirkungen der „Kubakrise“ zu spüren, die die Welt im Oktober 1962 beinahe in einen Atomkrieg geführt hatte.

Die Firma Graetz in Altena (Westfalen) bewarb den von ihr produzierten „LS-Geigerzähler Gamma 50“ mit dem Hinweis auf das „Selbstschutzgesetz“, auch wenn das unter dem Paragrafen „Selbstschutzausrüstung“ nur Arznei- und Verbandmittel aufführte. Im Stadtmuseum Meppen befindet sich ein Exemplar – als Dauerleihgabe des Gesundheitsamts Landkreis Emsland. Klein und leicht ist das Objekt. Die rechteckige Pappschachtel, in der sich der Geigerzähler befindet, passt auf die ausgestreckte Hand eines Erwachsenen. Mit rund 220 Gramm wiegt das Gerät weniger als ein handelsübliches Päckchen Butter. Weiße Striche kreuzen und queren den kürbisfarbenen Deckel der Schachtel. Vermutlich symbolisieren sie Gammastrahlen.

Der Ursprung der Firma Graetz liegt in Berlin. Als „Ehrich & Graetz OHG“ wurde sie 1866 gegründet. Sie stellte ursprünglich Lampenbrenner, Kocher und Öfen her, ab 1925 Radios. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog die Familie Graetz nach Altena und rief die „Graetz KG“ ins Leben. Die machte sich einen Namen als Hersteller von Radio- und Fernseh- sowie Haushaltsgeräten. Zudem beschäftigte sich Graetz mit der Entwicklung von Strahlungsmessgeräten.

Im Mai 1949 gründete sich die „Graetz Strahlungsmeßtechnik GmbH“. Nachdem die Familie ihre Firma 1961 verkauft hatte, wechselten mehrfach die Eigentümer. Leitende Mitarbeiter retteten die GmbH 1998 aus der Insolvenzmasse.

Als „handliches batteriebetriebenes Taschengerät zur Messung von radioaktiver Gamma-Strahlung“ preist Graetz in der Gebrauchsanleitung den Geigerzähler an. Der „Gamma 50“ sei so konstruiert, „daß er von jedermann – auch von nicht ausgebildeten Personen – eingesetzt werden kann“. Einzusetzen sei er „für den individuellen Strahlenschutz, insbesondere in Katastrophenfällen“.

Der „Gamma 50“ ist ein grauer Kasten mit zwei Knöpfen, einem roten und einem gelben. In zwei Bereiche teilt sich die Messtechnik: in einen roten mit 0,5 bis 50 Röntgen pro Stunde und einen gelben mit 10 bis 500 Milliröntgen pro Stunde. Ein Röntgen entspricht etwa 8,7 Millisievert, 50 Röntgen sind folglich 435 Millisievert.

Zur Einordnung: Nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz liegt hierzulande die durchschnittliche Strahlenbelastung aus natürlichen Quellen bei zwei bis drei und aus künstlichen Quellen bei zwei Millisievert pro Person und Jahr. Gefährlich wird es für Menschen, die einer Strahlenbelastung ab 100 Millisievert pro Stunde ausgesetzt sind. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt. Über 1000 Millisievert sind im schlimmsten Fall tödlich. Bei 8000 Millisievert ist der Tod gewiss.

Die Nachfrage nach Geigerzählern schnellte zwanzig Jahre nach Inkrafttreten des „Selbstschutzgesetzes“ in die Höhe: Am 26. April 1986 ereignete sich im ukrainischen Kernkraftwerk Tschornobyl (russisch: Tschernobyl) der bis heute verheerendste Unfall (GAU = Größter anzunehmender Unfall) in der zivilen Nutzung der Atomenergie. Winde verteilten den radioaktiven Niederschlag auch nach Deutschland. So weiß ein Mitarbeiter des Stadtmuseums Meppen noch zu berichten, dass damals in dem Kindergarten, den seine Mutter leitete, die Sandkiste regelmäßig mit einem Geigerzähler auf Radioaktivität untersucht worden sei. Noch heute wirkt der Reaktorunfall von Tschornobyl nach. So teilte das Bundesamt für Strahlenschutz im September 2024 mit, dass in einigen Waldregionen Süddeutschlands Wildpilze erhöhte Werte an radioaktivem Cäsium-137 aufweisen könnten. Allerdings sei „ein maßvoller Verzehr“ unbedenklich.

Der „LS-Geigerzähler Gamma 50“ wurde übrigens gut genutzt. Dafür sprechen die Kratzspuren auf dem Deckel des Batteriefachs.

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