Das Bild „Mein Dorf“ von Hannah Nauhaus

Museen sind Schatzkammern: sie sammeln und bewahren Gegenstände aus vergangenen Zeiten, erforschen deren Geschichte(n) und bringen sie zum Sprechen. Dabei sind es nicht selten die auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge, die Spannendes zur lokalen Historie zu berichten haben. In der Reihe „Objekt des Monats“ werden im Stadtmagazin DER MEPPENER regelmäßig herausragende Exponate und Sammlungsstücke aus dem Bestand des Stadtmuseums vorgestellt.

(mb) Was gibt es in diesem kunterbunt leuchtenden Garten alles zu entdecken! Farbenfroh wuchern Blumen. Unter einem hohen Baum parkt ein Kinderwagen. Ein Fahrrad lehnt an einer Hauswand. Auf der Fassade prangt ein überlebensgroßes Porträt, daneben steht ein Name: „Dr. med. B. Tholen“. Das Gesicht einer Frau mit blütengeschmücktem Hut schaut aus einem Fenster, ein Auge mit langen Wimpern aus einem anderen. An einem Zaun steht eine Frau in einem weißen, bodenlangen Kleid, davor ein Mädchen mit blonden Zöpfen. Die Köpfe zweier Kinder gucken über den unteren Bildrand. Zu sehen sind auch ein Kaninchen und eine Katze, durchsichtig wie ein Geist.

Wer vor Hannah Nauhaus‘ Werk „Mein Dorf“ steht, das derzeit in der Sonderausstellung „Kunst im Emsland“ im Stadtmuseum Meppen präsentiert wird, kann sich kaum sattsehen. Das liegt nicht nur daran, dass die Künstlerin ein farbintensives Wimmelbild schuf. Verschoben wirkt Vieles, denn eine Zentralperspektive gibt es nicht. Manches ist sogar plastisch: Die Dächer der Häuser, das Blätterwerk des Baums, die Blüten der Blumen treten hervor. Und dazu gibt es Gänseblümchen aus Plastik. Auf den ersten Blick erscheint „Mein Dorf“ als Idyll. Doch bei längerer Betrachtung schleicht ein Gefühl der Beklemmung heran, nicht zuletzt angesichts des gewittrig wirkenden Himmels.

Wer war Hannah Nauhaus? Eine Künstlerin, „die einfach in Vergessenheit geraten ist“, sagt Anna-Lena Reich, Historikerin und eine der beiden Kuratorinnen der Sonderausstellung. Für Uta Deymann, Lehrerin im Ruhestand, war sie „meine Klassenlehrerin“. Doch der Reihe nach.

Auskünfte über den Lebensweg von Hannah Nauhaus gibt das 2001 erschienene Buch „Malerei und Grafik im Emsland 1860–1960“ von Christiane Kerrutt. Zwei Seiten sind der Künstlerin gewidmet. Geboren wird sie 1902 als Johanna Margareta Kunze. In Schweidnitz (Schlesien) lässt sich die junge Frau zur Lehrerin ausbilden. Sie unterrichtet erst auf Landgütern, später in Berlin. Dort heiratet Johanna Kunze den Künstler und Kartografen Karl Eberhard Nauhaus – von ihm sind in der Sonderausstellung fünf Werke zu sehen. Das Paar lässt sich 1951 im Emsland nieder. In Dalum und in Lingen arbeitet Hannah Nauhaus als Lehrerin. Die Pädagogin ist über 50 Jahre alt, als sie zu malen beginnt. Leuchtende, traumähnliche Bilder mit Motiven aus ihrer Lebenswelt bringt sie auf Leinwände, wobei sie sich von der Klassischen Moderne inspirieren lässt, namentlich von Marc Chagall.

Für Anna-Lena Reich und Brigitte Junge bildeten Kerrutts Recherchen die Grundlage ihrer Ausstellung „Kunst im Emsland“, die zuerst auf Gut Altenkamp in Papenburg zu sehen war. Als sie das im Buch abgedruckte Bild „Mein Dorf“ von Hannah Nauhaus erblickten, waren sich die Kuratorinnen einig: „Das wollen wir unbedingt in der Ausstellung haben.“ Das Werk, dem Mischtechnik zugrunde liegt, sei „vom Stil her außergewöhnlich, experimentierfreudig, lebensbejahend“, sagt Reich. „Man kann sich beim Anblick an den Farben berauschen.“ Und man könne dabei auch Geschichte entdecken. „Den im Bild genannten Arzt gab es wirklich, was vor allem für ältere Besucher einen großen Wiedererkennungswert hat.“ Es ist eines von fünf Nauhaus-Werken, die das Stadtmuseum Meppen zeigt.

„Uns war als Kindern gar nicht bewusst, dass sie auch malte“, erinnert sich Uta Deymann an Hannah Nauhaus. Sie war acht Jahre alt, als sie die Pädagogin im Jahr 1965 in Lingen als Klassenlehrerin bekam. Unterrichtet habe diese „alles“: Deutsch, Mathematik, Religion – und Kunst. „Das hat sie super gemacht“, sagt Deymann, „sie war eine tolle Lehrerin.“ In ihren Stunden habe sie schon Gruppenarbeit machen lassen, für die damalige Zeit ungewöhnlich. „Es war nie langweilig.“

Jeder habe vor Hannah Nauhaus Respekt gehabt, sagt Uta Deymann. Streng habe sie sein können, mitunter auch anstrengend. Sie sei resolut, imposant und ein bisschen exzentrisch aufgetreten. „Frau Nauhaus trug immer bunte Sachen, zum Beispiel königsblauen Mantel und knallroten Hut. Oder andersrum. Sie liebte Farben.“

Als wäre sie einem ihrer Bilder entstiegen, ermutigte sie ihre Schüler, nicht mit Farbe zu geizen. „Wir mussten immer ganz bunt malen“, erzählt Uta Deymann. „Und alles, was wir malten, mussten wir mit einem dünnen Pinsel schwarz umranden. Dadurch leuchteten die Farben noch mehr“ – wie in „Mein Dorf“. Für Hannah Nauhaus war die Malerei nach ihren eigenen Worten ein Mittel, sich „vor dem Ernst des Lebens zu retten“. Sie starb 1992 im Alter von 90 Jahren in Lingen.“

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